BGH zur Spitzenstellungswerbung – Wettbewerbsrecht
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass eine wettbewerbswidrige Spitzenstellungswerbung dann vorliegen kann, wenn ein Anbieter ein neues Produkt unter Hinweis auf die in der Vergangenheit mit einem anderen Produkt erworbene Marktführerschaft bewirbt. Denn das Verschweigen dieses Umstands sei im Regelfall geeignet, eine unrichtige Vorstellung über die Leistungsfähigkeit des Anbieters hervorzurufen und damit die Entschließung des Publikums über den Erwerb des beworbenen Nachfolgeprodukts im Sinne von § 5a Abs. 1 UWG in unlauterer Weise zu beeinflussen.
Die Klägerin in dem vom BGH entschiedenen Fall stellt Knochenzemente her. Die Beklagte vertrieb, neben anderen Medizinprodukten, bis September 2005 die Knochenzemente der Klägerin. Ende August 2005 stellte die Klägerin die Belieferung der Beklagten ein und vertrieb ihre Knochenzemente nunmehr selbst. Die Beklagte brachte daraufhin im Jahr 2005 eigene Knochenzemente heraus und vertrieb diese ebenfalls selbst. Bis zur Einstellung dieses Vertriebs im August 2014 war die Beklagte Marktführerin im Bereich von Knochenzementen. Die Einstellung des Vertriebs der Knochenzemente beruhte darauf, dass die Klägerin die Beklagte und andere Unternehmen im Hinblick auf diese Knochenzemente erfolgreich wegen der Verletzung von Betriebsgeheimnissen gerichtlich in Anspruch genommen hatte. Seit Oktober 2014 vertrieb die Beklagte unter einer anderen Bezeichnung Knochenzemente, die von einer anderen Firma hergestellt werden. Zur Bewerbung der nunmehr von ihr vertriebenen Knochenzemente bewarb die Beklagte diese in einer im Internet veröffentlichten Pressemitteilung mit der Überschrift „Zurück an die Spitze“ und unter Verweis auf ihre bis August 2014 bestehende Stellung als Marktführerin im Bereich von Knochenzementen.
Die Klägerin wandte sich daraufhin mit einer Klage gegen die Verwendung der Angabe „Zurück an die Spitze“ in der Überschrift der Pressemitteilung und die Behauptung, die Beklagte sei bis August 2014 Marktführer im Bereich Knochenzemente gewesen. Die Klägerin machte insoweit geltend, diese Angaben seien irreführend gemäß §§ 5, 5a UWG. Die Beklagte sei im August 2014 zwar Marktführerin in dem Segment gewesen, habe die beworbene Marktführerstellung aber deshalb innegehabt, weil sie rechtswidrig anvertraute Betriebsgeheimnisse der Klägerin unbefugt verwendet habe. Diese für den angesprochenen Verkehrskreis wesentliche Information hätte die Beklagte in ihrer Internetwerbung verschwiegen. Die beanstandete Werbung mit der rechtswidrig erlangten Marktführereigenschaft stelle zudem eine nach der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel des § 3 Abs. 1 UWG unzulässige Fruchtziehung aus vorangegangenem wettbewerbswidrigem Tun dar.
Die Klage war vom Landgericht Frankfurt abgewiesen worden und die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin vor dem Oberlandesgericht Frankfurt ebenfalls ohne Erfolg geblieben.
Der BGH vereinte in seinem Urteil zwar ebenfalls einen Anspruch der Klägerin auf der Grundlage einer wettbewerbswidrigen Verwendung der Betriebsgeheimnisse der Klägerin durch die Beklagte, gab der Klage aber unter dem Gesichtspunkt der Wettbewerbswidrigkeit der Bewerbung eines neuen Produktes unter Hinweis auf eine in der Vergangenheit mit einem anderen Produkt erworbene Marktführerschaft statt.
Nach der Auffassung des BGH war das Verschweigen der Tatsache, dass die Marktführereigenschaft durch die unbefugte und rechtwidrige Verwendung von Betriebsgeheimnissen erlangt worden war, deshalb nicht wettbewerbswidrig, weil damit keine Irreführung der angesprochenen Verkehrskreise verbunden war. Dazu hat der BGH ausgeführt, dass der Verkehr mit der Behauptung einer Spitzenstellung regelmäßig die Erwartung verbinde, dass der Anbieter in der Lage ist, nach den maßgeblichen Kriterien von Qualität, Service und Preis für den Käufer besonders attraktive Produkte anzubieten. Dass das Unternehmen eine in der Werbung herausgestellte Spitzenstellung nicht (allein) durch eigene Leistung bei der Entwicklung oder dem Vertrieb eines besonders wettbewerbsfähigen Produkts, sondern unter Verletzung von Betriebsgeheimnissen eines Wettbewerbers erreicht habe, stelle der Verkehr erfahrungsgemäß aber nicht in Rechnung.
Der BGH bejahte aber den Unterlassungsanspruch damit, dass die beanstandeten Behauptungen einer Spitzenstellung nicht allein Bedeutung für das konkret beworbene Produkt hätten, sondern nach der Lebenserfahrung auch eine Aussage zu der Leistungsfähigkeit des werbenden Unternehmens selbst treffen würden. Vor diesem Hintergrund würden die angesprochenen Verkehrskreise den angegriffenen Angaben nach ihrem Wortsinn die Aussage entnehmen, die Beklagte sei in der Vergangenheit derart leistungsfähig gewesen, dass sie die Marktführerschaft und die Spitzenstellung auf dem Markt der Knochenzemente habe erlangen können. Aus den Angaben ergebe sich für den Verkehr weiter, dass die Beklagte aufgrund ihrer fortbestehenden Leistungsfähigkeit in der Lage sei, auch mit ihrem neuen Produkt eine entsprechende Spitzenstellung zu erreichen. Die mit der Behauptung einer Spitzenstellung einhergehende Aussage zur besonderen Leistungsfähigkeit des Unternehmens sei für den potentiellen Käufer von besonderer Bedeutung für seine geschäftliche Entscheidung. Mit der Werbung mit einer Spitzenstellung verbinde der Verkehr regelmäßig die Erwartung, der Anbieter sei in der Lage, nach den maßgeblichen Kriterien von Qualität, Service und Preis für den Käufer besonders attraktive Produkte anzubieten. Dass das Unternehmen eine in der Werbung herausgestellte Spitzenstellung nicht (allein) durch eigene Leistung bei der Entwicklung eines besonders wettbewerbsfähigen Produkts, sondern unter Verletzung von Betriebsgeheimnissen eines Wettbewerbers erreicht hat, stelle der Verkehr erfahrungsgemäß nicht in Rechnung. Bewerbe der Anbieter ein neues Produkt unter Hinweis auf die in der Vergangenheit mit einem anderen Produkt erworbene Marktführerschaft, sei das Verschweigen dieses Umstands deshalb im Regelfall geeignet, eine unrichtige Vorstellung über die Leistungsfähigkeit des Anbieters hervorzurufen und damit die Entschließung des Publikums über den Erwerb des beworbenen Nachfolgeprodukts im Sinne von § 5a Abs. 1 UWG in unlauterer Weise zu beeinflussen.
BGH, Urteil vom 16.11.2017 (Az. I ZR 160/16 – „Knochenzement II“)
Anmerkung: Die Entscheidung des BGH ist vor allem deshalb von Interesse, weil darin eine Abgrenzung der unterschiedlichen wettbewerbsrechtlichen Anspruchsgrundlagen der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel des § 3 Abs. 1 UWG und dem Tatbestand der Irreführung durch Unterlassen gemäß § 5a Abs. 1 UWG vorgenommen wird.
Der BGH hat in seiner Entscheidung betont, dass Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Generalklausel des § 3 Abs. 1 UWG wäre, dass von einem wettbewerbsrechtlich angegriffenen Verhalten eine unmittelbare Störung des lauteren Wettbewerbs ausgeht oder sonst ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem unlauteren Vorgehen und der als Fruchtziehung beanstandeten Handlung besteht. Begründet hat er das damit, dass das Kriterium der Unmittelbarkeit erforderlich wäre, um zu verhindern, dass Verhaltensweisen dem Verbot der Generalklausel des § 3 Abs. 1 UWG unterworfen werden, die für sich genommen mit den Grundsätzen des lauteren Wettbewerbs im Einklang stehen. Damit hat der BGH erneut deutlich gemacht, dass die Generalklausel des § 3 Abs. 1 UWG keine Auffangklausel für nicht anders unter die wettbewerbsrechtlichen Normen zu fassenden Sachverhalte sein soll. Die vom BGH bejahte Anwendbarkeit des § 5a Abs. 1 UWG ist hingegen ein weiterer deutlicher Hinweis darauf, dass es wettbewerbsrechtlich zu beanstanden sein kann, sich insbesondere bei einer Spitzenstellungswerbung mit „fremden Federn“ zu schmücken.
BGH zur Haftung als Mittäter beim Filesharing – Konferenz der Tiere
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass Teilnehmer einer Internettauschbörse, die bei so genanntem Filesharing Dateifragmente eines urheberrechtlich geschützten Werkes in der Tauschbörse zum Herunterladen anbieten, das dort zum Herunterladen bereit gehalten wird, regelmäßig als Mittäter einer gemeinschaftlich mit den anderen Nutzern der Internettauschbörse begangenen Verletzung des Rechts zur öffentlichen Zugänglichmachung des Werks haften.
Die Klägerin in dem vom BGH entschiedenen Rechtstreit war Inhaberin der ausschließlichen Nutzungs- und Verwertungsrechte an dem Film „Konferenz der Tiere 3 D“. Der Beklagte hatte zuvor über seinen Internetanschluss dem Film zuzuordnende Datenpakete über eine Internettauschbörse zum Herunterladen angeboten. Die auf Schadenersatz und Abmahnkosten gerichtete Klage war in der ersten Instanz abgewiesen worden und auch in der Berufung ohne Erfolg geblieben, da sich aus dem Vorbringen der Klägerin nicht ergeben hätte, dass über den Internetanschluss des Beklagten eine lauffähige Version des Films oder eines Teils davon zum Herunterladen angeboten worden sei. Dies sei für die Geltendmachung von urheber- und leistungsschutzrechtlichen Ansprüchen aber erforderlich, da eine nur teilweise zur Verfügung gestellte Datei regelmäßig nicht lauffähig und konsumierbar sei, weshalb es sich nicht um eine Nutzung des geschützten Werks oder seiner Teile handele, sondern lediglich um „Datenmüll“.
Nach Auffassung des BGH konnte eine Haftung des Beklagten im Streitfall nicht verneint werden, weil der Beklagte als Mittäter einer gemeinschaftlich mit den anderen Nutzern der Internettauschbörse begangenen Verletzung des Leistungsschutzrechts der Klägerin zur öffentlichen Zugänglichmachung des Films „Konferenz der Tiere 3 D“ oder urheberrechtsschutzfähiger Teile hiervon hafte. Die Frage, ob sich jemand als Täter, Mittäter, Anstifter oder Gehilfe in einer seine zivilrechtliche Haftung begründenden Weise an einer deliktischen Handlung beteiligt hat, beurteile sich nach den im Strafrecht entwickelten Grundsätzen. Täter ist danach, wer die Zuwiderhandlung selbst oder in mittelbarer Täterschaft begeht (§ 25 Abs. 1 StGB). Mittäterschaft (vgl. § 830 Abs. 1 Satz 1 BGB) erfordert eine gemeinschaftliche Begehung, also ein bewusstes und gewolltes Zusammenwirken.
Der objektive Tatbeitrag des einzelnen Teilnehmers an einer Internettauschbörse liege in der Bereitstellung von Dateifragmenten, die gemeinsam mit weiteren von anderen Teilnehmern der Tauschbörse bereitgestellten Dateifragmenten auf dem Computer des herunterladenden Nutzers zur Gesamtdatei zusammengefügt werden können. Das Filesharing über sogenannte Peer-to-Peer-Netzwerke (P2P Netzwerke) diene der Erlangung und Bereitstellung funktionsfähiger Dateien. Jeder Teilnehmer eröffne anderen Teilnehmern des Netzwerks die Möglichkeit, von ihm heruntergeladene Dateien oder Dateifragmente ihrerseits von seinem Computer herunterzuladen; der Download gehe also mit dem Angebot zum Upload einher. Typischerweise beziehe ein Teilnehmer, der eine Datei herunterlädt, Dateifragmente von vielen verschiedenen Teilnehmern. Jedes Dateifragment lasse sich anhand des sogenannten Hashwerts als zu einer bestimmten Gesamtdatei zugehörig identifizieren und habe eine Nummer, die seine Position in der Ursprungsdatei kennzeichne. Die zum Herunterladen bereitgestellten Dateifragmente seien somit kein „Datenmüll“, sondern individuell adressierte Datenpakete, die auf dem Computer des herunterladenden Nutzers zur Gesamtdatei zusammengefügt werden können. Aus der Funktionsweise des P2P Netzwerks als arbeitsteiliges System folge zugleich, dass den Tatbeiträgen der Teilnehmer eine kumulative Wirkung zukomme und die Gesamtheit der im Netzwerk verfügbaren Dateifragmente eine funktionsfähige Kopie der Ursprungsdatei ergebe. Mangels gegenteiliger Feststellungen sei zugunsten der Klägerin zu unterstellen, dass im zeitlichen Zusammenhang mit dem vom Internetanschluss des Beklagten vorgenommenen Angebot zum Herunterladen über die Tauschbörse eine vollständige Version des Films „Konferenz der Tiere 3 D“ oder eines urheberrechtsschutzfähigen Teils hiervon zum Herunterladen angeboten worden sei.
Das Bereitstellen von Dateien oder Dateifragmenten über ein P2P Netzwerk erfolge regelmäßig im Rahmen eines bewussten und gewollten Zusammenwirkens der Teilnehmer. Dem stehe nicht entgegen, dass die Teilnehmer der Tauschbörsen anonym bleiben und nicht untereinander kommunizieren, denn Mittäterschaft kommt auch in Betracht, wenn die Beteiligten einander nicht kennen, sofern sich jeder bewusst ist, dass andere mitwirken und alle im bewussten und gewollten Zusammenwirken handeln. Die Funktionsweise von Internettauschbörsen sei deren Teilnehmern regelmäßig jedenfalls insofern geläufig, als sie sich im Klaren darüber sind, nicht nur Dateien oder Dateifragmente von den Computern anderer Teilnehmer auf ihren Computer herunterzuladen, sondern zugleich im Netzwerkverbund anderen Nutzern das Herunterladen von Dateien oder Dateifragmenten zu ermöglichen, um eine funktionsfähige Gesamtdatei zu erhalten. Auch wenn es an technischem Spezialwissen fehlt, sei den Teilnehmern einer Internettauschbörse regelmäßig bewusst, dass sie auf diese Weise im arbeitsteiligen Zusammenwirken mit anderen Teilnehmern des Netzwerks das Herunterladen vollständiger und funktionsfähiger Dateien ermöglichen. Sie wirkten daher bei der öffentlichen Zugänglichmachung der Dateien mit den anderen Teilnehmern der Tauschbörse bewusst und gewollt zusammen. Dass es dem Teilnehmer einer Internettauschbörse in erster Linie darauf ankommen könne, selbst in den Genuss der heruntergeladenen Dateien zu gelangen, stehe der Annahme vorsätzlichen Zusammenwirkens mit den anderen Teilnehmern nicht entgegen. Wisse er, dass im Rahmen der arbeitsteiligen Funktionsweise der Tauschbörse die Bereitstellung der von ihm heruntergeladenen Dateien oder Dateifragmente im Netzwerk eine notwendige Begleiterscheinung des Herunterladens auf den eigenen Computer ist, so nehme er diese Folge seines Handelns mindestens billigend in Kauf. Dies reiche für die Annahme von Mittäterschaft aus
BGH, Urteil vom 06.12.2017 (Az. I ZR 186/16 – „Konferenz der Tiere“)
Anmerkung: Mit seiner Entscheidung hat der BGH einer auf technische Gründe basierten Rechtsverteidigung eine deutliche Absage erteilt, indem er die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Nutzer von Tauschbörsen als Mittäter an einer von mehreren gemeinschaftlich begangenen Urheberrechtsverletzung bejaht hat. Dieser rechtliche Ansatz ist nicht ganz neu und wurde vom BGH auch bereits in anderen Filesharing Fällen verfolgt. Interessant daran ist allerdings, dass der BGH davon ausgeht, dass inzwischen jedem bekannt sei, wie Filesharing prinzipiell funktioniere und der Nutzer der Tauschbörse dies deshalb auch gewusst haben müsste. Ob sich diese Annahme allgemein auf Filesharing Fälle übertragen lassen wird, erscheint in praktischer Hinsicht allerdings zweifelhaft, da man auch nach der Entscheidung des BGH nicht bei jedem Nutzer automatisch davon ausgehen können dürfte, dass er tatsächlich über entsprechende Kenntnisse über die Funktionsweise von P2P Netzwerken verfügt. Absehbar dürfte aber sein, dass sich damit die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast zuungunsten von wegen urheberrechtswidrigen Filesharings in Anspruch genommenen Nutzern von P2P Netzwerken erhöhen werden.
BGH zur Darlegungslast des Anschlussinhabers bei Filesharing durch Familienangehörige
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich in einem Urteil erneut mit der Frage beschäftigt, ob der Inhaber eines Internetanschlusses für von Familienangehörigen im Wege des so genannten Filesharing begangene Urheberrechtsverletzungen haftet.
In der Entscheidung des BGH ging es um eine urheberrechtswidrige Vervielfältigung des Musikalbums „Loud“ von Rihanna im Wege des Filesharings.
Nach der Auffassung des BGH hatten die Beklagten im Streitfall ihrer sekundären Darlegungslast nicht genügt, weil sie den Namen desjenigen ihrer erwachsenen Kinder nicht angegeben haben, das ihnen gegenüber die Rechtsverletzung zugegeben hatte. Diese Angabe wäre den Beklagten auch unter Berücksichtigung der Grundrechtspositionen der Parteien zumutbar. Zugunsten der Klägerin wären das Recht auf geistiges Eigentum nach Artikel 17 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta und Artikel 14 Grundgesetz (GG) sowie auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Artikel 47 EU-Grundrechtecharta und auf Seiten der Beklagten der Schutz der Familie gemäß Artikel 7 EU-Grundrechtecharta und Artikel 6 Abs. 1 GG zu berücksichtigen und in ein angemessenes Gleichgewicht zu bringen.
Danach ist der Anschlussinhaber etwa nicht verpflichtet, die Internetnutzung seines Ehegatten zu dokumentieren und dessen Computer auf die Existenz von Filesharing-Software zu untersuchen. Hat der Anschlussinhaber jedoch im Rahmen der ihm obliegenden Nachforschungen den Namen des Familienmitglieds erfahren, das die Rechtsverletzung begangen hat, muss er dessen Namen offenbaren, wenn er eine eigene Verurteilung abwenden will.
BGH, Urteil vom 30.03.2017 (Az. I ZR 19/16 – „Loud“)
Anmerkung:
Die Entscheidung des BGH ist auf viel Kritik gestoßen, weil sie dahingehend aufgefasst wurde, dass der BGH von dem Anschlussinhaber verlangte, seine eigenen Kinder zu „verraten“, um sich seiner Inanspruchnahme als Inhaber des Internetanschlusses entziehen zu können, von der das urheberrechtswidrige Filesharing (unstreitig) stattgefunden hatte. Diese Kritik ist aber letztlich nicht berechtigt, denn der BGH hat dem Anschlussinhaber keine Verpflichtung zur Preisgabe des Namens des Kindes auferlegt, das die Urheberrechtsverletzung begangen hatte. Der BGH hat vielmehr ausdrücklich darauf verwiesen, dass Eltern keinem Zwang zur Auskunft unterliegen, sondern vielmehr die Wahl haben, ob sie die Auskunft erteilen oder ob sie davon absehen, das Kind anzugeben, das die Rechtsverletzung begangen hat, und insoweit auf eine Rechtsverteidigung zu verzichten. Vor dem Hintergrund, dass der Anschlussinhaber in der Vorinstanz sogar bekundet hatte, Kenntnis davon zu haben, wer die Urheberrechtsverletzung begangen hatte, ist das nicht zu beanstanden. Denn letztlich hat der BGH dabei nur die allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätze der sekundären Darlegungslast angewandt, nach denen es regelmäßig nicht ausreicht, zu bestreiten, eine Urheberrechtsverletzung nicht selber zu begangen zu haben. Der BGH verlangt also auch weiterhin von dem Inhaber eines Internetanschlusses, von dem Filesharing stattgefunden hat, denjenigen zu „verraten“, der das Filesharing vorgenommen hat.
OLG Hamburg zur rechtsmissbräuchlichen Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs wegen Markenrechtsverletzung
Das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG Hamburg) hat in einer Sache, in der es um einen Unterlassunsanspruch wegen einer Markenrechtsverletzung entschieden, dass von einer Gesellschaft, der ohne jede Lizenzahlungen eine Vielzahl von ausschließlichen Lizenzen an Marken einer mit ihr verbundenen Gesellschaft eingeräumt worden sind, die aber nach dem englischen Recht als sogenannte „dormant company“keine buchhalterisch zu erfassenden Transaktionen vornimmt, nicht angenommen werden kann, dass sie die von ihr verwalteten Marken im Rahmen eines stimmigen und seriösen Geschäftsmodells anbietet und sie so in geschützter Weise benutzt. In einem solchen Fall sei vielmehr davon auszugehen, dass die Gesellschaft die ihr eingeräumten Lizenzen in rechtsmissbräuchlicher Weise allein dazu nutzt, etwa durch Abmahnungen unangemessen auf Marktteilnehmer einzuwirken und so nur aufgrund wirtschaftlichen Drucks Schadensersatzforderungen oder andere wirtschaftliche Vorteile durchzusetzen.
Die Entscheidung erging in einem Verfahren über den Erlass einer einstweiligen Verfügung. Bei der Antragstellerin handelte es sich um ein in Großbritannien in der Rechtsform einer Limited registriertes Unternehmen. Die Antragstellerin war Inhaberin des ausschließlichen Nutzungsrechts an der Unionsmarke „ATHLET“ als Lizenznehmerin einer Schweizer GmbH, die nach den Feststellungen die alleinige Rechteinhaberin an insgesamt 259 nationalen Schweizer beziehungsweise Unionsmarken war.
Streitgegenständlich war ein von der Antragstellerin geltend gemachter markenrechtlicher Unterlassungsanspruch auf Grundlage der Lizenzrechte an der Unionsmarke „ATHLET“. Die Antragstellerin hatte die Antragsgegner wegen eines angeblichen Verstoßes gegen ihre Markenrechte wegen deren Angeboten von Reifenfelgen unter den Bezeichnungen „ATHLETE WHEELS“ und „Athlete“ auf der Internetplattform Ebay erfolglos abgemahnt und zur Abgabe einer Unterlassungserklärung aufgefordert. Das Landgericht Hamburg hatte zunächst eine einstweilige Verfügung gegen die Antragsgegner erlassen, diese dann aber später nach mündlicher Verhandlung wieder aufgehoben (LG Hamburg, Az.: 416 HKO 111/16)
Nach den Feststellungen des OLG Hamburg hortete die Antragstellerin Markenlizenzen um daraus zu ihrem finanziellen Vorteil Ansprüche herzuleiten und erziele Einkünfte nur aus der Geltendmachung von Ansprüchen, die sie lediglich aus der Existenz von Markeneintragungen herleitete. Die ausschließlichen Markenlizenzen waren der Antragstellerin von der Rechteinhaberin ohne Entgelt überlassen worden, ohne dass erkennbar gewesen wäre, dass sie Grundlage einer weiteren, auf eine ernsthafte Benutzung der Marke gerichteten unternehmerischen Tätigkeit hätten sein können.
Auf Grundlage dieser Feststellungen entschied das OLG Hamburg, dass die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs durch die Antragstellerin rechtsmissbräuchlich war, weil die Antragstellerin ihre formale Rechtsstellung aus der ihr lizenzierten Unionsmarke „ATHLET“ in unlauterer Weise ausnutzte. Denn der allgemeine Grundsatz der unzulässigen Rechtsausübung gelte auch im Markenrecht und die Berufung auf eine nur formale Rechtsstellung als Inhaber bzw. als ausschließlicher Lizenznehmer eines Kennzeichenrechts widerspreche den Grundsätzen von Treu und Glauben und sei daher rechtsmissbräuchlich.
OLG Hamburg, Urteil vom 22.06.2017 (Az. 3 U 223/16, „ATHLET“)
Anmerkung:
In seiner Entscheidung hat das OLG Hamburg betont und überzeugend begründet, dass die vom Bundesgerichtshof (BGH) entwickelten Kriterien zur Bösgläubigkeit von Markenanmeldungen im Wesentlichen den unionsrechtlichen Grundsätzen zur Bösgläubigkeit von Markenanmeldungen (EuG, Urteil vom 07.07.2016 (Az. T-82/14, „LUCEO“) entsprechen. Eine Besonderheit des Verfahrens vor dem OLG Hamburg war allerdings, dass die Antragstellerin nicht Markeninhaberin sondern lediglich Lizenznehmerin der Marke war. Die Entscheidung lässt daher nur begrenzte Rückschlüsse auf Fälle zu, in denen ein Markeninhaber selber Unterlassungsansprüche geltend macht.