BGH zum Umfang der Pressefreiheit – Videoaufnahmen aus Bio Hühnerställen
Der für Presserecht zuständige VI. Senat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat entschieden, dass die Veröffentlichung von heimlich in einem Hühnerstall gedrehten Videos im Zuge der Berichterstattung über Zustände in der Tierhaltung auch dann von der Pressefreiheit gedeckt ist, wenn sich die dokumentierten Zustände in einem rechtlich zulässigen Rahmen bewegen. Der BGH hat mit seiner Entscheidung die Rolle der Presse als „Wachhund der Öffentlichkeit“ bestätigt.
Der Erzeugerzusammenschluss Fürstenhof GmbH hatte den Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) wegen der Verbreitung der Filmaufnahmen über die Zustände in zwei seiner Mitgliedsunternehmen verklagt.
Die von einem Tierschutzaktivisten heimlich in den Hühnerställen der Unternehmen gedrehten Videos waren dem MDR von dem Tierschutzaktivisten überlassen wurden. Die Videos wurden als Teil von Filmbeiträgen in der Reihe ARD Exklusiv unter dem Titel „Wie billig kann Bio sein?“ und im Rahmen der Sendung „FAKT“ unter dem Titel „Biologische Tierhaltung und ihre Schattenseiten“ ausgestrahlt worden. Die Videoaufnahmen zeigten u.a. Hühner mit unvollständigem Federkleid und tote Hühner. Die Beiträge befassten sich u.a. mit den Auswirkungen, die die Aufnahme von Bio-Erzeugnissen in das Sortiment der Supermärkte und Discounter zur Folge hat, und warfen die Frage auf, wie preisgünstig Bio-Erzeugnisse sein können.
Das Landgericht Hamburg hatte den MDR antragsgemäß verurteilt, es zu unterlassen, im Einzelnen näher bezeichnete Bildaufnahmen zu verbreiten, die verpackte Waren, tote Hühner oder solche, die ein unvollständiges Federkleid haben, eine umzäunte Auslauffläche und die Innenaufnahme eines Hühnerstalls zeigen. Die Berufung der Beklagten hatte vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht (OLG Hamburg) keinen Erfolg. Der BGH hat die Entscheidungen des Landgerichts und der Oberlandesgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Entscheidung des BGH
Die Verbreitung der Filmaufnahmen verletze weder das Unternehmerpersönlichkeitsrecht der Klägerin noch ihr Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Zwar seien die Filmaufnahmen – die eine Massentierhaltung dokumentieren und tote oder nur mit unvollständigem Federkleid versehene Hühner zeigen – geeignet, das Ansehen und den wirtschaftlichen Ruf der Klägerin in der Öffentlichkeit zu beeinträchtigen. Der Senat sei auch davon ausgegangen, dass die Ausstrahlung der nicht genehmigten Filmaufnahmen das Interesse der Klägerin berühre, ihre innerbetriebliche Sphäre vor der Öffentlichkeit geheim zu halten. Diese Beeinträchtigungen wären aber nicht rechtswidrig. Das von der Beklagten verfolgte Informationsinteresse der Öffentlichkeit und ihr Recht auf Meinungs- und Medienfreiheit überwögen das Interesse der Klägerin am Schutz ihres sozialen Geltungsanspruchs und ihre unternehmensbezogenen Interessen. Dies gelte trotz des Umstands, dass die veröffentlichten Filmaufnahmen durch den Tierschützer rechtswidrig hergestellt worden waren. Die Beklagte hatte sich an dem vom Tierschützer begangenen Hausfriedensbruch nicht beteiligt. Mit den beanstandeten Aufnahmen würden keine Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse der Klägerin offenbart. Die Aufnahmen dokumentierten vielmehr die Art der Hühnerhaltung durch dem Erzeugerzusammenschluss angehörige Betriebe; an einer näheren Information über diese Umstände habe die Öffentlichkeit grundsätzlich ein berechtigtes Interesse. Die Filmaufnahmen informierten den Zuschauer zutreffend. Sie transportierten keine unwahren Tatsachenbehauptungen, sondern gäben die tatsächlichen Verhältnisse in den beiden Ställen zutreffend wieder. Mit der Ausstrahlung der Filmaufnahmen habe die Beklagte einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage geleistet. Die Filmberichterstattung setze sich unter den Gesichtspunkten der Verbraucherinformation und der Tierhaltung kritisch mit der Massenproduktion von Bio-Erzeugnissen auseinander und zeige die Diskrepanz zwischen den nach Vorstellung vieler Verbraucher gegebenen, von Erzeugern oder Erzeugerzusammenschlüssen wie der Klägerin herausgestellten hohen ethischen Produktionsstandards einerseits und den tatsächlichen Produktionsumständen andererseits auf. Es entspreche der Aufgabe der Presse als „Wachhund der Öffentlichkeit“, sich mit diesen Gesichtspunkten zu befassen und die Öffentlichkeit zu informieren. Die Funktion der Presse sei nicht auf die Aufdeckung von Straftaten oder Rechtsbrüchen beschränkt.
BGH, Urteil vom 10.04.2018 (Az. VI ZR 396/16 – „Bio Hühnerställe“)
Anmerkung: Das Urteil des BGH ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert: Zum einen, weil die Videoaufnahmen von dem Tierschützer auf rechtswidrige Weise, unter Begehung eines immerhin strafbaren Hausfriedensbruchs durch das nächtliche Eindringen in die Hühnerställe, gefertigt wurden. Zum anderen, weil die durch die Videoaufnahmen dokumentierten Zustände in den Hühnerställen gesetzeskonform waren, darin also keine Form verbotener Tierhaltung gezeigt wurde. Im Ergebnis vermag die Entscheidung des BGH aus pragmatischen Gründen zu überzeugen, da eine Berichterstattung über die tatsächlichen Umstände bei der Herstellung von Produkten kaum möglich wäre und daher die Pressefreiheit stark einschränken würde, wenn die Zulässigkeit einer solchen Berichterstattung von einer Genehmigung des Herstellers abhängig wäre. Die Entscheidung des BGH ist aber auch nicht als Freibrief für die Presse zu verstehen, illegal gefertigtes Videomaterial zu verwenden. Presseorgane werden auch zukünftig abwägen müssen, inwieweit die Verwendung solchen Materials unter Berücksichtigung der Interessen des Betroffenen rechtlich zulässig ist.